Die Europäische Kommission treibt die Harmonisierung des Insolvenzrechts voran. Unter anderem soll ein verwalterloses Verfahren eingeführt werden.
Zur Stärkung der Kapitalmarktunion will die Europäische Kommission die Regelungen des Insolvenzrechts harmonisieren. Ende 2022 wurde daher ein weiterer Richtlinienentwurf veröffentlicht, der den Mitgliedstaaten aber kaum Spielräume im Rahmen der gesetzlichen Umsetzung lassen würde. Dazu gibt es viele Diskussionen und kritische Stimmen. Für die Umsetzung in nationales Recht hätten die Länder zwei Jahre nach Inkrafttreten Zeit.
Teile des Vorschlags betreffen u.a. die Insolvenzanfechtung, Haftungsfragen der Geschäftsleitung und auch das Thema Gläubigerausschüsse. Diese Themengebiete, so ist sich die Branche einig, sind im deutschen Insolvenzrecht bereits verankert. Die EU-Richtlinie würde daher hier zu keinen erheblichen Veränderungen führen. Die Stärkung des „Asset Tracing“ durch leichteren Zugang zu Informationsregistern (u.a. nat. und internat. Bankkontenabfrage) und die Einführung sogenannter „Pre-Pack-Verfahren“ sind ebenfalls Teil des Plans. In solchen Verfahren werden Verkäufe von Unternehmen im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens vorbereitet. Als Vorbild diente insbesondere das britische Pre-Pack-Verfahren. Dieses Sanierungswerkzeug kann sinnvoll sein, aber in puncto Transparenz des Erwerbsprozesses muss nachgebessert werden, um nachteilige Veräußerungen zu vermeiden.
Schnelle und effiziente Insolvenzverfahren ohne Verwalter?
Besonders in der Kritik steht jedoch der Vorschlag eines verwalterlosen Verfahrens. Der Plan: ein vereinfachtes Verfahren für insolvente Kleinunternehmen mit maximal zehn Beschäftigten und höchstens 2 Mio. Euro Umsatz oder Bilanzsumme. Diese sollen von der Geschäftsführung im Wesentlichen selbst, in der Regel ohne die Beteiligung eines Insolvenzverwalters, abgewickelt werden.
Die Begründung der Europäischen Kommission: Verfahren ohne einen Insolvenzverwalter sollen angeblich schneller und günstiger sein. Zudem könnten Investoren aufgrund der Einheitlichkeit der nationalen Insolvenzrechte die Risiken bei ihren Investments besser abschätzen. Laut Richtlinienentwurf soll es einen Insolvenzverwalter nur noch geben, wenn dies vom Schuldner oder den Gläubigern beantragt wird. Dass ein Verfahren mangels Masse nicht eröffnet wird, ist für Kleinunternehmen nicht vorgesehen. Die verwalterlosen Verfahren sollen standardisiert und digital abgewickelt werden. Der Betrieb ist für Anträge und Fristen selbst verantwortlich. In Deutschland und anderen Ländern wird dieser Vorstoß massiv kritisiert. Es würde dazu führen, dass die Gläubigerinteressen gar nicht mehr wahrgenommen werden. Wesentliche Arbeiten, die derzeit der Insolvenzverwalter erledigt, werden auf die nationalen Insolvenzgerichte abgewälzt, u.a. auch Überwachungsaufgaben des Schuldners. Auch in kleineren Verfahren versucht der Verwalter durch seine rechtlichen Möglichkeiten, Vermögenswerte zurückzuholen und zu sichern. In Deutschland wären nach Schätzungen von Creditreform im Jahr 2022 alleine fast 86 % der Unternehmensinsolvenzen betroffen.
Die Branche ist überzeugt, dass die überwiegende Zahl der Verantwortlichen dieser Betriebe überfordert wäre. Es müssen komplexe Vorgaben des Gläubiger- und Arbeitnehmerschutzes beachtet werden, etwa eine mögliche Vorfinanzierung des Insolvenzgelds für die Beschäftigten. Zudem ist ein Insolvenzverwalter angehalten, sich ein genaues Bild über möglicherweise vorhandene Vermögenswerte zu verschaffen und Anfechtungsansprüche zu prüfen. All das kann – trotz der begrüßenswerten digitalen Umsetzung des Verfahrens – nicht von Laien erbracht werden. Zudem ist zu erwarten, dass die Kapazitäten der Gerichte aufgrund der an sie übertragenden neuen Aufgaben, überlastet werden.
· Ivo-Meinert Willrodt, PLUTA Niederlassung München