Sanierungspraxis und Insolvenzverwaltung sollen digitaler werden. Dazu gibt es bereits einige Vorstöße und noch mehr Ideen. Wo steht die Branche bei der Digitalisierung derzeit?
Es ist ein offenes Geheimnis: Deutschland kommt bei der Digitalisierung nicht so schnell voran wie es wünschenswert ist und liegt laut IMD Digital Competitiveness Index 2021 nur auf Platz 18. Ein Nachzügler in der digitalen Entwicklung ist die öffentliche Verwaltung, Gleiches gilt für Rechtsanwaltskanzleien. Doch die Corona-Pandemie beschleunigt die Digitalisierung auch hier. Über 60 Prozent der Rechtsanwälte bestätigen laut Umfrage, dass sie digitaler arbeiten als vor der Pandemie. Ist das nun endlich der Durchbruch?
Ein aktuelles Beispiel: Digitale Kommunikation mit Gerichten
Jeder in Deutschland zugelassene Rechtsanwalt verfügt über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA). Das ermöglicht eine sichere elektronische Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und anderen Akteuren des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV). Bereits seit Anfang 2018 gilt für Rechtsanwälte die passive Nutzungspflicht. Am 1. Januar 2022 wird flächendeckend die aktive Pflicht zum Versand elektronischer Nachrichten an Gerichte per beA in Kraft treten. Ab dann sind Rechtsanwälte verpflichtet, den Gerichten Dokumente ausschließlich elektronisch zu übermitteln – in einigen Bundesländern und bei einigen Gerichten ist dies bereits heute obligatorisch.
Die Umfrage eines Branchenverlages zeigt bisher ein gemischtes Meinungsbild zur Effizienz: Ein gutes Viertel der Betroffenen arbeitet mit dem beA deutlich digitaler und effizienter, 30 Prozent konnten ihre Arbeit mit dem elektronischen Anwaltspostfach immerhin etwas digitaler und effizienter gestalten. Ein weiteres Viertel profitierte nach eigenen Angaben kaum, 19 Prozent überhaupt nicht. Dies bestätigt auch der Bericht von Branchenkennern, die von der Anschaffung neuer Drucker durch die Gerichte berichten. Grund: Viele elektronisch eingereichte Akten werden demnächst ausgedruckt und weiterbearbeitet. Das Stichwort lautet Hybrid-Akte. Die Anmeldung von Forderungen bearbeiten viele Gerichte sowieso weiterhin analog. Der Arbeitsalltag sieht also zunächst deutlich weniger digital aus als erhofft.
Trotzdem: Von der notwendigen Digitalisierung profitieren
Die Vorteile für Rechtsanwaltsgesellschaften und deren Geschäftspartner durch die Digitalisierung sind vielfältig. So setzt auch PLUTA auf digitale Formate. Neben dem elektronischen Dokumentenmanagementsystem und dem digitalen Versand von Schriftstücken gehören Videokonferenzen zum Arbeitsalltag. Auch bei der Personalführung wird heute ganz selbstverständlich auf digitale Unterstützung gesetzt. Vom system-unterstützten Recruiting-Prozess über die digitale Personalakte bis hin zu Online-Formaten wie E-Learnings beim eigenen internen Weiterbildungsprogramm ist die zunehmende Digitalisierung die Basis für flexible Arbeitsprozesse und die permanente Anpassung an Markterfordernisse.
Das gilt umso mehr für die Unternehmenssanierung und Insolvenzverwaltung. Hier wurde die elektronische Akte bereits vor vielen Jahren eingeführt, was sich in Corona-Zeiten bewährt hat. Die Online-Forderungsanmeldung gibt es bereits seit knapp 20 Jahren bei PLUTA. Ein elektronisches Gläubigerinformationssystem ist ebenfalls schon lange etabliert. Damit können Gläubiger Berichte und Tabelleninformationen digital mit Passwort abrufen. Seit Anfang 2021 ist ein solches System nun auch gesetzlich vorgeschrieben, wenn der Schuldner eine bestimmte Größe hat. In einem nächsten Entwicklungsschritt könnten den Gläubigern Verzeichnisse elektronisch zur Verfügung gestellt werden, was zu mehr Transparenz in den Verfahren führen würde. Ein weiterer Schritt wären digitale Gläubigerversammlungen. Denkbar sind sogar Anfechtungsprüfungen mittels künstlicher Intelligenz, die standardisierte Prüfungen in der Insolvenzverwaltung übernehmen – doch das ist noch Zukunftsmusik.
· Dr. Stephan Laubereau